Aufsichts- und Fürsorgepflicht bei Schüler/-innen mit chronischen Erkrankungen
Lehrkräfte sind täglich in der Pflicht der gebotenen Aufsicht über die Schüler/-innen nachzukommen.
Durch den im Grundgesetz festgeschriebenen staatlichen Erziehungsauftrag und die Schulpflicht greift die Schule ganz erheblich in das elterliche Erziehungsrecht ein. Deshalb ist die Schule auch verpflichtet im Bereich der Personensorge (BGB: Pflegen, erziehen, beaufsichtigen, den Aufenthalt bestimmen) Vergleichbares zu leisten wie die Eltern.
Das bedeutet:
Neben dem im Schulgesetz beschriebenen Erziehungs- und Bildungsauftrag haben Lehrerinnen und Lehrer auch einen Betreuungsauftrag (und zwar unabhängig vom Alter, auch bei über 18-jährigen Schülern!).
Die Art und Intensität der Betreuung und Fürsorge variiert je nach Alter, persönlicher Eigenart und Situation der Schüler.
Infobroschüre der DGUV Deutsche gesetzliche Unfallversicherung „Medikamentengabe in Schulen“
Drei Kategorien der Aufsichts- und Fürsorgepflicht:
1. Was muss die Lehrkraft tun?
- Verpflichtung zu erster Hilfe bei Unfällen, Ohnmacht, Kollaps etc.
- Die Lehrkraft muss geeignete Rettungsmaßnahmen einleiten können.
- Sie hat die Pflicht die eigene Rettungsfähigkeit immer wieder zu aktualisieren!
- Analog gilt bei chronisch Kranken: Die Lehrkraft muss die erforderlichen Kenntnisse zu angemessener Handlungsfähigkeit erwerben.
- Schüler vor erkennbaren oder vorhersehbaren Gefahren / Beeinträchtigungen schützen:
- Gefahren / Überforderung im Sport- und Schwimmunterricht
- Außerunterrichtliche Veranstaltungen
- Vernachlässigung durch das Elternhaus
- Selbst- und Fremdgefährdung … etc.
- Spezielle „fürsorgliche“ Maßnahmen bei chronisch kranken Schülern im Rahmen des Betreuungsauftrags anwenden.
„Fürsorge“ bedeutet dabei nicht, einen kranken Schüler von Gemeinschaftsveranstaltungen oder Unterricht auszuschließen, sondern:- Modifizierung bei der Planung von Unterricht
- Elternbeteiligung
- Selektives Unterrichtsangebot
- Modifizierung bei der Planung außerunterrichtlicher Veranstaltungen (Begleitpersonen, Nahrungsmittelauswahl, Transparenz der Situation für alle Beteiligten, Elternbeteiligung, vorherige Notfallplanung etc.).
- Anwendung des Nachteilsausgleichs
Diese Fürsorge- und Betreuungsaufgaben zählen zu den Dienstpflichten der Lehrkräfte. Die Angst sich in Ausübung dieser Tätigkeiten durch Kompetenzüberschreitung strafbar zu machen, ist kein hinreichender Hinderungsgrund, da für die Lehrkräfte in Ausübung ihres Dienstes das Prinzip der „Staatshaftung“ gilt.
Das heißt, Klage von Dritten muss gegen das Land Baden-Württemberg geführt werden. Das Land kann dann bei seinen Bediensteten zwar Regress nehmen, aber nur bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz.
Grundsatz: In Notsituationen falsch zu handeln ist besser als nicht zu handeln!!
2. Was darf die Lehrkraft tun?
(Dürfen im Sinne von angemessenem Handeln ohne die Sorge der Kompetenzüberschreitung.)
Es ist wichtig zu beachten, dass Personensorge nur erfüllbar ist, wenn beide Seiten – Eltern und Schule – über die nötigen Informationen verfügen:
- Die Lehrer müssen über die Krankheit und den erforderlichen Umgang mit dem Schüler Bescheid wissen.
- Die Eltern müssen die Lehrer – gegebenenfalls mit Unterstützung eines Arztes –über angemessenes Verhalten in Bezug auf die Krankheit instruieren.
- Die Schule muss sich aktiv um den Erhalt von Informationen bemühen, wenn die Eltern nicht von sich aus informieren.
(Elternabende, Fragebogen bei Aufnahme, persönliche Gespräche etc.) - Mit der (schriftlichen) Ermächtigung der Eltern und der erforderlichen Instruktion sind die Lehrer verpflichtet verordnete Medikamente zu verabreichen, oder an die Einnahme zu erinnern, gegebenenfalls auch beim Spritzen behilflich zu sein oder selbst zu spritzen (nicht intravenös!).
(Vom Betreuungsaspekt her gesehen ist das gleichzusetzen mit der Verpflichtung der Lehrkraft bei einem Schulausflug an einem sehr heißen Tag auf die notwendige Flüssigkeitsaufnahme der – insbesondere jüngeren – Schüler zu achten.) - Die Schulleitung muss im Einzelfall die Zumutbarkeit für die jeweiligen Lehrkräfte abwägen und ggf. eine andere Kollegin / Kollegen beauftragen.
3. Welche allgemeine Regeln sind zu beachten?
Regierungsdirektor Berner RP Stuttgart (1999) zur Integration chronisch Kranker in das Klassengeschehen:
„Für kranke Kinder ist es besonders wichtig an Gemeinschaftsveranstaltungen teilzunehmen. Zu hohe Anforderungen an die Aufsichtspflicht hätten aber in vielen Fällen eine nicht hinnehmbare Ausgrenzung des kranken Kindes zur Folge.“
- Grundsätzliche Regel für die Abgabe von Medikamenten:
- Wenn eine Beauftragung der Eltern mit klarer Angabe von Zeitpunkt und Dosierung der Medikamente vorliegt, gehört dies zu den Betreuungsaufgaben der Lehrkräfte.
- Wenn weder Klarheit über Diagnose, noch über Dosierung und Zeitpunkt besteht, dürfen keine Medikamente verabreicht werden: z.B. Schmerztabletten, Kreislauf unterstützende Mittel etc.
- Richtlinie:
Keine Diagnose oder Therapie
durch die Lehrkräfte,
sondern nur
Durchführung der Betreuung !
- Verantwortung:
Nach § 41 Schulgesetz liegt die letztendliche Verantwortung für schulorganisatorische Maßnahmen bei der Schulleitung
- Schlussanmerkung:
Eine unverzichtbare schulorganisatorische Maßnahme ist
-> eine funktionierende SCHULINTERNE INFORMATIONSWEITERGABE
über die besonderen Bedingungen kranker Schülerinnen und Schüler- an alle betroffenen Lehrkräfte
- an die Eltern der Klasse, wenn dies für das Kind hilfreich ist.
Verwaltungsvorschrift „Verabreichung von Medikamenten bei chronischen Krankheiten in Schulen“